Bartolomea Capitanio
DER MUT DER LIEBE

von Albarica Mascotti

 

So betete Bartholomäa

Ich habe erkannt, wie gross deine Liebe zu mir, o Gott, ist.
Ich war noch nicht geboren und du dachtest schon an mich, liebtest mich und bereitetest grosse Gnaden für mich vor.
Nun liebst du mich mit einer grenzenlosen Liebe, wachst zu meiner Verteidigung, ergreifst alle Gelegenheiten, um mir Beweise deiner Liebe zu geben, du stehst mir stetig bei, verzeihst mir, rufst mich und es scheint, dass du nicht eher zufrieden bist, bis du dich von mir geliebt siehst.
Jesus, du liebst mich zu sehr! Auch ich will dich mit all meinen Kräften lieben. Ich weiss, Jesus, dass die Liebe für dich nie von einer wahren Liebe für den Nächsten getrennt werden soll.
Daher werde ich alles, was du mir geschenkt hast: das Leben, die Gesundheit, das Talent, die Gedanken, die Worte, die Taten, den Besitz, zum Nutzen und Trost meiner lieben Brüder und Schwestern anwenden.
Hilf mir in meiner Schwäche und gib mir Mut in den Schwierigkeiten. Lass mich erfahren, dass das ärmste Instrument in deinen allmächtigen Händen die grössten Dinge machen kann. Heiligste Maria, lehre mich meinen Nächsten zu lieben.

Ein wichtiges Spiel

Im Internat der heiligen Klara in Lovere (Bergamo) war das Schuljahr schon im vollen Gange und auch die neu angekommenen Mädchen bewegten sich mit Ungezwungenheit in dem für die Schülerinnen bestimmten Flügel des Klosters. Es schien Schwester Franziska, einer der Lehrerinnen, der richtige Moment, um ihnen bewusst zu machen, wie kostbar das Geschenk der Erziehung ist, um so mehr, als damals – es war das Jahr 1818 – nicht alle Mädchen des Dorfes die Schule besuchen konnten.
Schwester Franziska dachte, dass sie es nötig hatten, sofort zu lernen, die Zeit gut anzuwenden, indem sie die kleinen Verpflichtungen des christlichen Lebens und des Studiums liebevoll erfüllten. Sie waren ihr so ergeben, dass ein kleiner Wink genügte, um sie zu sich zu rufen. Sie redete mit ihnen darüber und weil sie die Mädchen so sehr interessiert sah, versuchte sie, einen mutigen Vorschlag zu machen:
– Wir wollen uns doch nicht damit begnügen, gut zu sein; wir wollen heilig werden! –
Die kleinen Schülerinnen wussten wohl, was «Heiligkeit» bedeutete, denn in der Klasse las die Lehrerin täglich einen Teil des Buches vom heiligen Alois Gonzaga. Vermutlich dachten sie nicht, dass solche Dinge auch für sie möglich waren.
Schwester Franziska schwieg, um sie überlegen zu lassen, dann fragte sie ganz unerwartet:
– Ist irgendeine unter euch, die heilig werden will? –
– Ich will es! Auch ich, auch ich, ich, ich… –
– Wie ich höre, wünscht ihr euch das; aber es wird doch eine unter euch sein, die als erste heilig werden will! –
– Ich, ich, ich… – war wieder die Antwort -.
Da der Wettkampf lebhaft wurde, hatte die Lehrerin die Absicht, ein Spiel vorzuschlagen.
– Bringt mir ein Sträusschen von Strohhalmen! Wer den längsten herauszieht, wird sich verpflichten, als erste heilig zu werden -.
Wie Bienen schwärmten sie in dem Garten aus, und im Nu waren sie wieder bei der Lehrerin. Sie sammelte die Halme, die sie ihr gaben; dann liess sie die Mädchen für die Ziehung nacheinander aufstellen; dann verglich sie die Länge der Strohhalme. Alle waren ungeduldig zu erfahren…
– Der längste Halm ist der von Bartholomäa! – meldete Schwester Franziska, indem sie den Blick des Mädchens kreuzte, das nicht nur im Studium vielversprechend war!
Die Auserwählte errötete und brach in Freudentränen aus. In ihrem Herzen hatte sie gebetet, dass ihr jenes Glück zuteil werde, und sobald sie sich der Aufmerksamkeit der Gefährtinnen entziehen konnte, rannte sie in die Kapelle, um Maria für jene Gnade zu danken und sie um ihre Hilfe zu bitten.
Sie kniete vor ihrem Bild und versprach, dass sie sich um jeden Preis verpflichten wollte.
– Ich will eine Heilige, eine grosse Heilige und rasch heilig werden -, sagte sie, mit der Gewissheit einen wichtigen Entschluss gefasst zu haben.

 

Wer ist Bartholomäa

Das Mädchen wurde am 13. (dreizehnten) Januar 1807 (achtzehnhundertsieben) in Lovere geboren, in einem Dorf, das sich im Iseosee spiegelt. In der Familie nannte man sie einfach Meulì.
Vater Modesto war ein Kaufmann, der mit Getreide handelte und Mutter Katharina verbrachte einen guten Teil des Tages im kleinen Laden im Erdgeschoss. Bartholomäa hatte noch andere Geschwister, aber sie starben früh und nur Camilla blieb, um mit ihr Gefühle und Spiele zu teilen.
Als kleines Mädchen war es schwierig, sie vom Stillhalten hinter dem Ladentisch zu überzeugen. Es schien ihr wie ein Triumph, wenn es ihr gelang, aus der Tür auf das Pflaster jener mittelalterlichen kleinen Strasse zu entwischen, die sich zwischen den Häusern hindurch schlängelte.
Es gehörte nicht viel dazu, die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft zu erregen! In kurzer Zeit versammelten sich die Mädchen um Meulì, die in einem bestimmten Moment wie gewohnt entschlossen vorschlug:
– Spielen wir Lehrerin! –
Die Lehrerin war natürlich sie. Mutter Katharina beobachtete sie aus dem Laden und begann zu überlegen, dass man ihre deutliche Neigung berücksichtigen sollte…
Während sie heranwuchs, erkannte Bartholomäa, dass sie in einer schwierigen Zeit lebte: die Kriege zwischen Franzosen und Oesterreichern hatten ihre Spuren im Dorf und im Geist der Bevölkerung hinterlassen; im Jahre 1816 kam eine schreckliche Hungersnot dazu, die zahlreiche Familien auf die Strasse zwang auf der Suche nach irgendetwas zum Ueberleben.
Bartholomäas Eltern konnten sich glücklich schätzen, denn es gelang ihnen, wenn auch mit Mühe, das Nötige für die Familie zusammenzubringen und auch etwas mehr, das dann in den Händen der Armen endete, die an die Tür klopften.
lhre angstvollen Gesichter hinterliessen in Bartholomäa einen nachhaltigen Eindruck; von ihrer Mutter lernte sie sie zu lieben, indem sie in ihnen «das lebendige Bild Jesu» erkannte.
Es gab dann einen Wendepunkt in den politischen Ereignissen, der ein Anzeichen für die einkehrende Ruhe im Dorfleben war. Die Rückkehr der Klarissinnen, die infolge der Gesetze der Revolutionszeit aus ihrem Kloster gejagt worden waren, bestätigte das.
Als Mutter Katharina erfuhr, dass man eine Mädchenschule eröffnet hatte, dachte sie, dass es genau das war, was Meulì brauchte, sie hatte bereits ein wenig Unterricht erhalten, aber sie konnte mehr lernen. Und ausserdem… jene Neigung, stets an der Spitze zu stehen, sollte in die richtige Bahn gelenkt werden!
Im Grunde war Bartholomäa trotz ihrer Lebhaftigkeit ein fügsames Mädchen; anlässlich ihrer ersten Kommunion als Zehnjährige hatte sie gezeigt, dass sie sich ernsthaft einzusetzen wusste: sie sollte nur ausgebildet werden!
So geschah es, dass sich Bartholomäa am 11. Juli 1818 Hand in Hand mit ihrer Mutter auf den Weg zum Internat machte. An jenem Abend schienen alle in der Familie ohne Meulì trauriger zu sein, aber alle wussten, dass jenes Opfer nur zu ihrem Besten war.

 

 

 

Das “ICH WILL” in Aktion

Bartholomäa vergass jenes «ich will» nicht mehr, das sie Maria versprochen hatte: es war wie eingemeisselt in ihrem Herzen.
Im Internat fehlte es nicht an Gelegenheiten, damit in Uebung zu bleiben: beim Studium, in der Unterhaltung, bei Tisch, in den Momenten des Gebets… Sie hatte ihre liebe Not damit, das gelentliche Aufbrausen ihres etwas hochmütigen Charakters zu überwinden und ihre Empfindlichkeit in den Griff zu bekommen. Um sich zu verbessern, befragte sie abends ihr Gewissen und notierte alles in einem kleinen Heft: «Heute habe ich Mühe gehabt zu gehorchen; ein Wort des Tadels mir gegenüber habe ich übel genommen; heute habe ich mich zweimal entschuldigt; ich bin mit einer meiner Frendinnen ein wenig schroff gewesen…».
Sie kennzeichnete auch die Siege mit kleinen Kreuzen, die nach und nach wuchsen, bis sie eines Tages einen wirklich ausserordentlichen Sieg davontrug.
An jenem Morgen war ein wenig Aufregung in der Klasse wegen eines Streiches, dessen Schuldige nicht zu finden war. Die Lehrerin meinte, dass auch Bartholomäa daran teilgenommen hätte, und sie schalt sie streng vor allen. Sie hörte dem Vorwurf still zu, ohne sich rechtzufertigen, dann kam sie zu ihrem Platz zurück, froh darüber, dass sie einer anderen die Strafe erspart hatte. An diesem Punkt aber konnte die wahre Schuldige nicht mehr schweigen.
– Ich bin es gewesen und nicht Bartholomäa! -, gestand sie unter Tränen, während die ganze Klasse vor Rührung verstummte.
Diese Siege über sich selbst kosteten sie viel, aber sie hinterliessen tief in ihrem Herzen einen grossen Frieden und eine heimliche Freude.
– Was ich aus Liebe mache, meinte sie immer überzeugter, ist nie schwer -.
Als sie eines Tages ein schönes Häufchen von Süssigkeiten und Obst betrachtete, woran es ihre Eltern nie fehlen liessen, beschloss sie, auch ihre Mitschülerinnen damit zu erfreuen.
Bei Tisch lernte sie auch das zu essen, was ihr nicht schmeckte, ohne sich zu beklagen und es sich anmerken zu lassen. Nur der Lehrerin, die jene Opfer bemerkt hatte, vertraute sie sich an:
– Wirklich, es kostet mich ein wenig Mühe, den Gaumen zu strafen, aber ich habe gelesen, dass der heilige Alois ihn nie befriedigte -.
Bartholomäa versuchte in den Büchern zu entdecken, wie es die Heiligen machten, immer mehr Gottes Freunde zu werden. Sie wollte ihnen nachstreben!

 

Ein schönes Geschenk

Bartholomäa folgte der Lektüre vom Leben des heiligen Alois nicht nur aufmerksam, sondern sie liess sich auch das Buch leihen, um das wiederzulesen, was sie besonders beeindruckt hatte, und darüber sprach sie auch mit ihren Freundinnen.
Ueberraschung!… Eines Sonntags kam ihre Mutter, die ihren Wunsch verstanden hatte, ins Sprechzimmer mit dem gleichen Buch, aber ganz für sie: und das war das schönste Geschenk!
Bartholomäa las es wieder und wieder, und benutzte jeden Augenblick der freien Zeit, bis sie es fast auswendig lernte und es war ihr so lieb, dass sie es nachts unter das Kissen legte.
– Wieso so viel Liebe für jenes Buch? -, fragte sie Schwester Franziska eines Tages beim Vorbeigehen.
– Dieses Leben gefällt mir, denn der heilige Alois lehrt mich, wie man es anstellt, heilig zu werden und ausserdem, weil ihn die Kirche selbst als Beispiel für uns Jugendliche bezeichnet -.
Uebrigens hatte sie die Mutter gerade ihm anvertraut, als sie nach der ersten Kommunion zusammen nach Castiglione delle Stiviere gewandert waren, wo St. Alois aufgewachsen war.
Um ihm ähnlich zu werden, liess sich Bartholomäa auch von der Lehrerin und dem Beichtvater helfen: sie bat sie, sie zu verbessern und sie zu lehren, auf dem Weg des Herrn zu «laufen». Und sie fügte sich ihren Ratschlägen.
Was in ihrem Herzen aber meistens Mut und Fröhlichkeit entfachte, war die Begegnung mit Jesus in der Eucharestie. Darauf bereitete sie sich mit grossem Einsatz vor, wie auf ein Fest, das schönste ihres Lebens. Zu jener Zeit war die tägliche Kommunion eine Ausnahme, ihr aber wurde sie erlaubt.
Sie öffnete ihr Herz mit ihren Gefühlen für Maria mit schönen Mitteilungen, wie die folgende: «Liebe Mutter Maria, mein Herz wird nie befriedigt werden, solange es nicht von Liebe zu dir brennen wird».
Mit derartigen Hilfen, ihren geistigen Freunden und beharrlichem Willen ging Bartholomäa ihrem grossen Ideal rasch entgegen. Und mit ihr wetteiferten auch ihre Mitschülerinnen, weil sie nicht allein heilig sein wollte.
– Spielen wir einen Wettkampf, wer Gott am meisten liebt -, sagte sie zu ihnen, indem sie sie anregte, ihrem Vorhaben zu folgen.

 

Lehrerin mit fünfzehn Jahren

Rasch vergingen vier Jahre. Bartholomäa hatte die Studien mit bestem Erfolg absolviert und die Eltern erwarteten nichts anderes als diesen Moment, um sie wieder zu Hause zu haben. Aber die Lehrerinnen baten darum, Bartholomäa noch bei ihnen zu lassen: bei der Betreuung der Mädchen und im Unterricht für die Kleinsten könnte sie mithelfen. Die Fähigkeiten dazu hatte sie und Lehren war von jeher ihre Leidenschaft!
Bartholomäa war also eine Lehrerin von fünfzehn Jahren und das nicht mehr zum Spass! Aber sie liess sich nicht beirren: in kurzer Zeit gewann sie die älteren Mädchen lieb, wie eine ältere Schwester, und die jüngeren waren froh, von ihr unterrichtet zu werden, da sie ihnen mit Geduld beim Studium half und sie ermutigte, wenn es schwer war, brav zu sein.
Alle freuten sich besonders auf die Pause. Bartholomäa war imstande Spiele und Wettkämpfe zu organisieren, die viel Spass machten; und wenn die Mädchen müde und erhitzt waren, kauerten sie sich um sie, und sie unterhielt sie mit Gesängen und schönen Erzählungen.
Das war auch der Moment, in dem sie manch kleine Opfer planten, um sich auf die Feiertage des Herrn und der Mutter Gottes gut vorzubereiten, ernste Opfer aber wie schöne Spiele empfunden: Spiele der Seele!
Bartholomäa liebte dieses geordnete und heitere Leben immer mehr und lebte gerne mit den Mädchen zusammen, aber… eines Tages kam ihre Mutter ins Kloster mit der Entscheidung, sie nach Hause zu holen: in der Familie war ihre Anwesenheit erforderlich.
In jenem Moment fand sich Bartholomäa im Widerstreit mit vielen Empfindungen: Sehnsucht nach den Leuten und der Umgebung, Dankbarkeit für das, was sie bekommen hatte und auch ein bisschen Furcht vor dem, was sie erwartete.
Schliesslich erkannte sie in der Mutter die Stimme Gottes, und sie bereitete sich auf die Trennung vor. Der 18. Juli wurde für ihre Abfahrt bestimmt; es war das Jahr 1824. Sie war siebzehneinhalb Jahre alt.
An jenem Abend öffnete sie ihr Heftchen und schrieb: «Es ist wirklich eine grosse Gnade, hier ausgebildet worden zu sein, wo ich gelernt habe, den lieben Gott zu lieben und verstanden habe, wie süss es ist, ihm zu dienen».

 

Im ihrer Familie

In jenen letzten Tagen suchte Bartholomäa ihre Sachen zusammen und beschaffte sich auch ein kleines, geistiges “Gepäck” mit Ratschlägen und Programmen, die für ihr Leben in der Familie nützlich sein würden. Dann vertiefte sie sich ins Gebet und gab dem Herrn ein neues Versprechen:
– Von nun an wähle ich dich, Jesus, als einzigen Besitzer meines Herzens, meiner Gefühle, meiner selbst. Ich werde für immer dein sein und will in dir meine ganze Freude finden -.
Es war das Fest der «Madonna del Carmelo» und Bartholomäa wollte Maria noch einmal ihren Vorsatz anvertrauen.
Bei der Abfahrt grüssten sie die Lehrerinnen und Mitschülerinnen mit einer langen Umarmung und vielen Tränen.
– Bartholomäa, ich überlasse dich dem Herzen Jesu, bleibe immer in seiner Liebe -, sagte Schwester Franziska zu ihr, die mehr weinte als die anderen.
– Ich verspreche Ihnen, dass ich mich genau so verhalten werde -, antwortete ihr Bartholomäa.
Die Rührung verhinderte eine längere Unterhaltung: rasch lief sie die Freitreppe hinunter und befand sich gleich darauf in den Strassen von Lovere, die nach Hause führten. Sie wurde von der Mutter erwartet, so, wie wenn man die Sonne ersehnt.
In der Familie lief nicht alles gut. Vater Modestus besuchte ein wenig zu oft die Schenke und wenn er mehr trank als einige Gläser, wurde er mit allen aggressiv. Camilla wuchs widerspenstig und rebellisch heran. Die Mutter verbarg grossen Kummer in ihrem Herzen.
Bartholomäa verstand, warum sie der Herr dort haben wollte. Sie machte wieder ihr Heftchen auf und schrieb: «Ich werde meinen Eltern grosse Ehrfurcht entgegen bringen, denn sie haben Gottes Stelle inne; ich werde ihnen gehorchen, sie lieben, sie in ihren Bedürfnissen unterstützen. Ich werde mich mit häuslichen Arbeiten beschäftigen und sie mit Genauigkeit und freudigem Gesicht ausführen. Ich werde die anderen mir selbst vorziehen, um in der Familie den Frieden zu bewahren».
Es verging keine lange Zeit und eines Abends verspätete Vater Modestus mehr als gewöhnlich seine Rückkehr nach Hause. Von Zeit zu Zeit ging Bartholomäa ans Fenster und hielt vergebens nach seiner Ankunft Ausschau, dann trat sie entschlossen in das Dunkel der Strassen, nur schwach vom Mondschein erhellt, und suchte ihn, indem sie an den Schenken des Dorfes vorbeiging. Sie erblickte ihn flüchtig hinter einer angelehnten Tür: er spielte Karten mit einem Freund. Sie näherte sich ruhig und setzte sich daneben.
– Vater, beende nur das Spiel. Dann möchte ich mit dir reden. Ich warte auf dich -.
– Das ist in Ordnung. Wir sind bei den letzten Schlägen -.
Sie gab ihm dann den Arm und indem sie ihm mit Güte zuredete, führte sie ihn wieder nach Hause zurück, und er war so fügsam wie ein Lamm.
Ein anderes Mal, als Bartholomäa gerade dabei war die Küche aufzuräumen, drangen vom Fenster her aufgeregte Stimmen an ihr Ohr. Ihr Vater war zu Unrecht von einem Nachbarn provoziert worden, und nachdem er das lange Zeit ertragen hatte, gelang es ihm nicht mehr sich zu beherrschen. Da Bartholomäa ahnte, dass sie bald handgemein würden, war sie blitzschnell unter ihnen: sie ergriff ihren Vater an einem Arm und überzeugte ihn, sich zurückzuziehen und verliess den anderen ohne Groll oder Vorwurf zu äussern.
Bartholomäa war überzeugt, dass man alles mit der Liebe erhält: sie lernte es vom Kruzifix, an das sie oft und besonders in schweren Momenten dachte.
Und Camilla? Mit ihr war unendliche Geduld nötig. Sie war nicht bösartig, manchmal konnte sie sogar sehr grossmütig sein, aber sie hatte immer eine Unverschämtheit bereit. Oft nützte sie die Güte ihrer Schwester aus, wie zum Beispiel, wenn sie vor deren Augen die Blätter mit den Gebeten zerriss, die diese für ihre Freundinnen vorbereitet hatte.
Bartholomäa erduldete alles; zudem überprüfte sie abends in ihrem Zimmer, ob sie im Gespräch mit ihr hart gewesen war, ob sie ihren Wünschen entgegen gekommen war, sogar… ob sie ihr gehorcht hatte.
Es brauchte eine lange Zeit, aber eines Tages konnte sie mit Freude einer befreundeten Person vertrauen: «Jetzt ist Camilla sehr ruhig, sie gehorcht und setzt den Weg der Güte mutig fort».
Nach und nach war mehr Friede in der Familie und besonders abends war es schön, wenn sie alle zusammen,Vater Modestus inbegriffen, den Rosenkranz beteten und ein gutes Wort hörten, das Bartholomäa aus irgendeinem Buch las, das immer in Reichweite war.

 

Ins Herz geschrieben

Am Sonntagnachmittag war Bartholomäa frei von Verpflichtungen. Nach der Feier in der Kirche schloss sie sich auch den Mädchen an, die schnell das Haus der Gerosas erreichten, dort, wo der Weg beginnt, der zum kleinen Seehafen hinabführt.
Ihnen voran ging “la siura” (Frau) Katharina, – so wurde sie im Dorf genannt; sie sperrte das Tor auf, nachdem die Mädchen angekommen waren und begleitete sie in einen grossen Saal, wo sie beteten, interessante Erzählungen hörten und sich bis zum Abend unterhielten, wie in eìnem richtigen Oratorium.
Der Bischof von Brescia Monsignore Gabrio Nava empfahl seit langem seinen Priestern, Treffpunkte für die Jugend zu schaffen, und Katharina Gerosa hatte im Einverständnis mit dem Pfarrer die Mädchen in ihrem grossen Haus versammelt, das infolge des Todes ihrer Eltern, der Onkel und Tanten fast leer geblieben war.
Als Bartholomäa mit ihr Umgang pflegte, erkannte Katharina sofort, dass sie ihr bei der Organisation der Treffen und Spiele helfen konnte. Tatsächlich wurden sie bald Freundinnen.
Der Erfolg der Zusammenkünfte wurde bald bekannt; immer mehr Mädchen fanden sich ein, sodass sie das Haus Gerosa nicht mehr fassen konnte. Ein Umzug in einen Raum der Pfarrei war notwendig geworden.
– Katharina, was hältst du davon, wenn wir das neue Oratorium Maria Kind widmen? Es wird nötig sein, auch Regeln aufzustellen, da wir nun so zahlreich sind, und in der Folge könnten wir mit den Eifrigsten die Gesellschaft «St. Alois» bilden… -.
– Dafür sorge du, Bartholomäa; für dich ist das Schreiben leicht. Ich beschäftige mich mit der kleinen Kapelle: sie ist ganz auszubauen und einzurichten und mir fehlen die Mìttel nicht -.
Die Mütter zu Hause waren froh, ihre Töchter in so guten Händen zu wissen.
Bartholomäa verdoppelte die Pflege für die bedürftigsten Mädchen, weil sie arm, verwaist oder ein wenig auf Abwege geraten waren.
– Diese, sagte sie zu sich selbst, schreibe sie in dein Herz und vergiss nicht eine von ihnen -.
Die schönen Fähigkeiten Bartholomäas bemerkten auch der Pfarrer, Don Rusticiano Barboglio und sein Kaplan Don Angelo Bosio.
– Wir sind der Ansicht, sagten sie zu ihr, als sie sie eines Tages im Oratorium getroffen hatten, dass du auch die Mädchen, die nie eine Schule besucht haben oder die des Klosters nicht besuchen können, Lesen und Schreiben lehren könntest. Versuche, darüber in deiner Familie zu sprechen -.
Die Eltern stellten ihr sofort einen kleinen Raum neben dem Geschäft zur Verfügung und Camilla half, ihr einige Bänke dorthin zu tragen. Bartholomäa machte das Uebrige und so gut, dass sie viele Mütter anflehten, ihre Töchter, sowohl die kleinen wie die grossen, aufzunehmen, und so musste auch die Schule bald in eine grössere Räumlichkeit im Pfarrhaus umziehen.
Bartholomäa forderte Disziplin und Ernst im Studium, aber im Unterschied zu den Lehrerinnen ihrer Zeit, hatte sie sich vorgenommen, nie zu Strafen zu greifen. Es war auch nicht einmal nötig, denn sie erreichte alles durch die Sanftheit. Sie hatte ihre Schülerinnen sehr lieb und es lag ihr am Herzen, dass auch sie einander liebten. Sicherlich kamen auch unter ihnen Uneinigkeiten und Streitereien vor. Geduldig half sie ihnen dabei, sich wieder zu versöhnen und sie setzte den Unterricht nicht eher fort, bis nicht alle den Friedenskuss mit einander ausgetauscht hatten.
Alle wetteiferten dann, um ihrer Lehrerin in irgendetwas zu ahneln. Diejenige, der es am besten gelang, war Helene Omio, ein Mädchen, so schön und gut wie ein Engel.
– Helene ist ein Blümlein für den Herrn -, sagte Bartholomäa, da sie hörte, dass viele Pläne für sie geschmiedet wurden.
Es war wie eine Voraussage: der Herr pflückte es sehr früh für sich, um es in den Himmel zu verpflanzen.
Eine andere, Rosa Maveri, hütete das Diktatheft wie einen Schatz, weil Bartholomäa wertvolle Gedanken für das Leben diktierte. Denjenigen, die ihr Studium beendeten, überreichte sie die «Erinnerungen», welche kostbare Mahnungen für die Zukunft beinhalten.
Sie begannen beispielsweise so: «Erinnert euch daran, dass Gott euer Anfang ist, ihr von ihm und für ihn geschaffen seid, ihr ihn über alles lieben und all eure Taten zu seinem höchsten Ruhm ausrichten sollt; …verhaltet euch auf eine Weise, dass der Herr in euch seine Wonne finden kann und euer Herz eine süsse Wohnung für ihn ist…».
Die Wirkung dieser Erziehung waren offensichtlich, weil man im Dorf auf Bartholomäas Schülerinnen aufmerksam wurde.
– Das ist kein Wunder, sagte man; sie hat Talent und die, welche den Unterricht leitet, ist eine Heilige!

 

Der Mut der Liebe

Ein oder auch zweimal am Tag schlug Bartholomäa schnell den Weg ein, der gegen Porta Seriana führt, das am Ende des Dorfes gelegen ist. Gerade in jenen Jahren hatte dort ein kleines Spital für die Armen seine Aktivität aufgenommen. Ambrosius Gerosa, ein Onkel von Katharina hatte das Haus gestiftet; diese hatte sich dann für die Vollendung des Werkes eingesetzt. Sie bat auch Bartholomäa um Mitarbeit und vertraute ihr die Aufgabe als Verwalterin und Direktorin an.
So fand Bartholomäa in ihren Tagesabläufen, die schon mit Verpflichtungen dicht waren, auch noch die Zeit, die Register auf den letzten Stand zu bringen und vor allem die Kranken zu besuchen, die sie «die Wonnen meines Herzens» nannte. Auch diese erwarteten Bartholomäa mit grosser Sehnsucht und die ersten, die ihre Ankunft erspähten, riefen aufgeregt:
– Die Bartholomäa kommt, die Bartholomäa kommt!… –
– Da bin ich! Hier bin ich bei euch! –
Und es war ein Fest!
Sie näherte sich jedem einzelnen, hörte zu, bediente, dann betete sie zusammen mit ihnen und bereitete sie vor, die Sakramente zu empfangen. Der Arzt des Spitals, Doktor Lukas Bazzini, sagte, dass er sie widerliche Wunden ohne jede Spur von Abscheu mit grosser Liebe hatte pflegen sehen.
Damit ihr das gelang, hatte sie ihr Geheimnis, das sie, wie immer, einem Blatt ihres kleinen Heftes anvertraute: «Ich werde von dir, Jesus, zu lernen versuchen, wie ich den Kranken dienen soll. Ich verspreche dir, dass ich weder Mühe noch Zeit, noch Unannehmlichkeiten scheuen werde, um ihnen ein wenig Trost zu schenken».
Eines Tages kam Bartholomäa mit einem Landstreicher ins Krankenhaus, dem sie unterwegs begegnet war; er war am Körper krank und an der Seele noch kränker. Sie tat alles, damit er, einmal genesen, nicht wieder den Weg des Lasters ging, aber es schien, dass er sie nicht anhörte; da sie nicht mehr wusste, was sie tun sollte, flehte sie ihn schliesslich auf Knien am Fusse seines Bettes an. In diesem Augenblick war der Junge erschüttert und ganz verändert.
– Ich verspreche dir, Bartholomäa, dass ich die schlechten Romane, die ich besitze, verbrennen und die Bücher, die du mir gegeben hast, lesen werde. Und jetzt, rufe mir einen Priester… –
Als er dann das Krankenhaus verliess, sagte er zu allen, denen er begegnete:
– Ihr habt eine Heilige in eurem Dorf, ohne es zu wissen! –
Nach einigen Jahren sah ihn jemand in der Kutte des heiligen Franziskus wieder.
Bartholomäa erreichte die Jugendlichen, die auf Abwege geraten waren, wo immer sie auch waren, sogar im kleinen Gefängnis des Dorfes. Ihr fehlte der Mut nicht, als sie, nachdem sie drei “Gegrüsset seist du, Maria” gebetet hatte, entschlossen in ein Haus eintrat, aus dem Geschrei und Weinen zu vernehmen waren, während sich eine kleine Gruppe von Neugierigen davor versammelte.
Sie kam gerade rechtzeitig dorthin, um den Zorn eines Jungen zu besänftigen, der seinen Vater schlagen wollte, während ihn die Schwestern und die Mutter in einer Ecke erschrocken anflehten, davon abzusehen.
Bei ihrem plötzlichen Erscheinen blieben die beiden wie erstarrt stehen. Bartholomäa ergriff rasch die Hand des Jungen und nachdem sie die Verwandten beruhigt hatte, lud sie ihn ein, ihr draussen auf der Strasse unter den erstaunten Blicken der Leute bis zu ihrem Haus zu folgen.
– Und nun setze dich hier hin, während ich dir ein Getränk zubereite, das dir hilft, wieder ruhig zu werden -.
Inzwischen liess sie ihn all seine Beweggründe äussern. Dann setzte sie sich neben ihn und mit Liebenswürdigkeit und Strenge zugleich liess sie ihn über die Folgen nachdenken, die von seiner Tat hätten ausgelöst werden können:
– Du hättest den lieben Gott beleidigt, der ein so guter Vater für uns ist; deine Familie und die Leute, die dich lieb haben, würden nun in einem ungeheueren Schmerz leben; im Dorf würde es grosse Unruhe geben; und was wäre nun mit dir? Versuche daran zu denken… –
Nach und nach während sie redete, sah sie, dass sich der Junge beruhigte. Er bereute.
– Jetzt können wir zu deinen Lieben zurückkehren, um dich zu versöhnen: sei stark! –
Sie selbst war bei der Bitte um gegenseitige Verzeihung anwesend, die in jene Familie Eintracht und Freude wiederbrachte, ja sogar bestärkte.
An jenem Abend sagte Bartholomäa in der Stille ihres Zimmers zu sich selbst, wie sie das schon an vielen Abenden getan hatte:
– Es gefällt mir zu sehr meinen Nächsten Gutes zu tun. Ich will mein ganzes Leben in den Dienst der Liebe stellen. Ich will Jesus ähnlich werden, der auf dieser Welt allen Gutes getan hat. Mit seiner Hilfe werde ich auch die schwierigen Situationen in Angriff nehmen .

Der Meierhof

Pünktlich kam auch der September mit seinem klaren Himmel und den ersten Vergoldungen des Herbstes auf den Hecken, Maulbeer- und Kastanienbäumen um den Gutshof «Mariet» in Sellere, einem kleinen Dorf nicht weit entfernt von Lovere.
Jedes Jahr, im letzten Abschnitt des Monats, erreichte ihn Bartholomäa zu Fuss auf einem Pfad, dann stieg sie zwischen Feldern und Wiesen den Abhang des Berges bis zum Gutshof, der für die Familie Capitanio wie ein Zusatz zu ihrem Haus war. Von hier aus liess Bartholomäa den Blick ins Tal schweifen und genoss jene «so schöne und abwechslungsreiche Natur» und jene Stille, die eine Woche hindurch der Rahmen ihrer geistigen Exerzitien sein würden.
Ihr leistete ihre Grossmutter Gesellschaft, aber Bartholomäa hatte ein kleines Zimmer ganz für sich: auf das Tischchen stellte sie das Kruzifix, die Bücher, die ihr Don Angelo geliehen hatte, das untrennbare Heft, das Tintenfass und die Feder; dann vertiefte sie sich in die Betrachtung.
Sie dachte, dass Gott sie wirklich lieb hatte; er hatte sie nach seinem Ebenbild geschaffen und mit vielen Gaben bereichert, er hatte ihr fürsorgliche Eltern, Lehrer und Lehrerinnen, gute Freundinnen, einen so schönen Ort und darunter hinaus den Glauben und die Möglichkeit gegeben, so viel Gutes zu Hause und im Dorf zu tun…
Dann richtete sie den Blick auf das Kruzifix, schaute es lange an, hörte, was ihm ihre Liebe sagte…, voll Staunen und Dankbarkeit sprach sie dann so zu ihm:
– Jesus, deine Liebe ist wirklich zu gross! Du bist am Kreuz gestorben, um mir zu sagen, wie sehr du mich liebst… Und nun stehst du mir immer bei, du verzeihst mir, du schenkst dich mir selbst in der Eucharistie… Und ich, so klein, arm und oft böse, vas kann ich für dich tun? –
Nach jenen Tagen kam sie mit der Ueberzeugung nach Hause zurück, ein Herz zu haben, das geschaffen war, so zu lieben, wie sie es von Jesus gelernt hatte.
Nach Sellere kam Bartholomäa noch andere Male und besonders in den Karnevalstagen traf sie auf eine schöne Schar von kleinen und grossen Mädchen, die Lust hatten, sich zu unterhalten.
Dort, auf den Wiesen spielte sie das Cembalo, während alle um sie herum tanzten, so glücklich wie noch nie. Bartholomäa wollte, dass sie im Herzen heiter waren; ihr gefielen die fröhlichen Gesichter.
Manchmal trafen sie auch die Freundinnen in Sellere. Mathilde Marinoni hatte ganz etwas Interessantes erlebt. Als sie im Dorf angekommen war, sah sie Bartholomäa ihr entgegenkommen, als ob sie von ihrer Ankunft gewusst hätte. Sie hinkte wegen einer Geschwulst an den Füssen, aber sie kümmerte sich nicht darum.
– Mathilde, was für eine schöne Ueberraschung deinerseits! Wir werden ein paar Tage zusammen geniessen. Wir haben einander so vieles zu erzählen… –
– Es tut mir leid, Bartholomäa, aber ich komme von Lovere, wo ich dich gesucht habe, und bevor es Abend wird, muss ich nach Rovetta zurück, denn meine Eltern erwarten mich -.
– Dann komm und sehe, wo ich wohne und so kannst du ein wenig ausruhen: du bist so lange gewandert und scheinst mir sehr müde -.
Das ist richtig und es geht mir nicht ganz gut -.
Wir werden versuchen, diesen Augenblick intensiv auszunutzen -.
Die Zeit aber verging rasch, während sie sich auf dem Weg und zu Hause unterhielten.
– Jetzt ist es nötig, dass wir unsere Wünsche opfern, um deine Eltern nicht in Sorge zu versetzen -, sagte Bartholomäa, weil sie sah, dass die Sonne beim Untergehen war. – Ich begleite dich eine Strecke, dann laufe ich in die Kirche, um Maria zu bitten, dass sie dich auf der Reise behüte; dort ist ein Bild, das mir sehr gefällt! Halte den ersten Wagen an, der vorbei fährt, wer auch immer ihn fährt, und bitte, dich aufsteigen zu lassen. Mache dir keine Sorge! –
So machten sie es; und als Mathilde allein war, hörte sie einen Wagen herannahen. Sie hielt ihn an, aber sie bemerkte, dass er gar nicht zuverlässig war; die Hengstfüllen, die ihn zogen, schienen noch nicht gut gebändigt, und die beiden Männer, die auf dem Kutschbock sassen, hatten offenbar ein wenig zu viel getrunken.
Mathilde war einen Moment lang verwirrt: es wäre wirklich unvorsichtig gewesen, den Platz anzunehmen, der ihr sofort angeboten wurde, aber sie wurde durch Bartholomäas sicheres Versprechen dazu gedrängt.
– Habe keine Angst! -, murmelte einer der beiden, weil er ihr Zaudern bemerkte; wir werden dir gute Gesellschaft leisten -.
Sie hörte sie dann miteinander flüstern:
– Passen wir auf, dass wir keine unkorrekten Worte sagen; sprechen wir von Religion: sie ist eine junge Frau, die zu respektieren ist! –
Und mit grosser Liebenswürdigkeit fuhren sie mit ihr bis zur Haustür. Dem Vater, der sie wegen jener Unvorsichtigkeit zurechtweisen wollte, erklärte Mathilde:
– Vater, ich habe mich aufgrund der Worte und des Gebetes von Bartholomäa sicher gefühlt -.
– Wenn es so ist, würde ich mich sehr freuen, eines Tages jene deiner Freundinnen kennenzulernen!

 

Wahre Freundinnen

Die Abendschatten senkten sich auf das Dorf herab, dann löschte die Nacht die Lampen in den Häusern, aber der Tag war für Bartholomäa noch nicht beendet. Nach dem Gebet mit den Eltern und Camilla zog sie sich in ihr Zimmer zurück, zündete die Kerze an, betete noch kniend auf dem Fussboden, dann schrieb an ihre Freundinnen. Sie hatte deren so viele, in mehr oder weniger weit entfernten Dörfern von Lovere: Marianna, Luzie, Julia, Regina, Martha, Pierina und andere mehr.
Sie war sehr müde und hatte schlaftrunkene Augen, aber sie sagte, dass es ein Trost für sie war, wenn sie am Tisch sass und sich ihnen mitteilte, auch wenn nur mit der Feder. Sie betrachtete sie wie eine Gabe Gottes, denn sie halfen ihr, in der Liebe des Herrn und des Nächsten zu wachsen.
Sie hatte sich vorgenommen, keine sinnlosen Dinge zu schreiben; sie teilte ihnen ihre geistigen Erfahrungen mit, bat um und gab Ratschläge, tröstete. Im Kerzenlicht wurde sie zu schönen Initiativen für die Oratorien angeregt, die die Freundinnen in ihren Dörfern belebten. Jede einzelne schrieb sie für sich ab und gab sie einer anderen weiter. Von jenem kleinen Tisch ging eine wahre Kette des Guten aus.
Don Angelo erfuhr vom Pfarrer von Sonico, dass ein Brief, den Bartholomäa an eine Freundin geschrieben hatte, im Dorf herumgereicht wurde, und mehr Früchte einbrachte als eine Predigt.
– In jeder Pfarrei müsste es eine Bartholomäa geben! -, sagten die Priester der Umgebung und beneideten Lovere beinahe um das Glück.
Manchmal schrieb Bartholomäa in jenen späten Stunden auch an Schwester Franziska, die stets einen besonderen Platz in ihrem Herzen inne hatte. Oefters aber begab sie sich zum Kloster, wo sie von allen, Nonnen und Schülerinnen immer freudig empfangen wurde. Da war Schwester Antonie, die sogar mit ihrer ganzen Klasse im Sprechzimmer ankam und zu ihr, wie gewohnt, sagte:
– Bartholomäa, da sind die Mädchen; sage ihnen irgendein gutes Wort! –
Sie war sicher, dass sie bereitwilliger und fügsamer ins Schulzimmer zurückkommen würden.
Mit einer besonderen Freude im Herzen schrieb Bartholomäa eines Abends auch an Katharina Gerosa, obwohl sie nicht weit von ihrem Haus entfernt wohnte und sie oft traf. Sie begann den Brief auf folgende Weise: «Liebste Schwester in Jesus, ich kann nicht umhin, dir zwei Zeilen über das zu schreiben, worüber wir gesprochen haben».
Bevor Bartholomäa ihr «jene Sache» mitteilte, hatte sie lange nachgedacht und gebetet; sie hatte auch Don Angelo um Rat gebeten. Dann war sie entschlossen zu Katharina gegangen, hatte sie beiseite gerufen, so wie wenn man wichtige und geheime Dinge mitteilen muss, und mit Liebenswürdigkeit hatte sie zu ihr gesagt:
– Katharina, mich beschäftigt ein Gedanke, der mich weder tags noch nachts verlässt und es scheint mir wirklich, dass er von Gott kommt. Auch Don Angelo hat es mir versichert. Auch du hast damit zu tun. Nun erkläre ich dir alles: du weisst besser als ich, dass in unserem Dorf viele Notfälle, viele Sorten von Armut zu lindern sind und dass es uns beiden gefällt, uns hinzugeben, um unserem Nächsten zu helfen, wie es uns Jesus lehrt. Wenn wir für immer in einem kleinen Haus zusammen blieben, würden sich dann vielleicht auch einige unserer Freundinnen anschliessen und so könnten wir so viel Gutes tun und es besser tun… –
– Du träumst mit offenen Augen, Bartholomäa! Du denkst an eine zu grosse Sache: es gelingt mir nicht einmal, sie mir vorzustellen; ich… ich bin für die kleinen alltäglichen Dinge geeignet, und ausserdem habe ich nunmehr mein Alter, meine Lebensgewohnheiten, du bist jünger; mir genügt das, was wir jeden Tag machen. Bitte, sprich mit mir nicht mehr davon -.
– Und wenn das, Katharina, der Wille Gottes für uns wäre? –
– Oh!… dann muss ich darüber nachdenken… Nun aber bin ich zu verwirrt! –
In der Tat hatte Katharina darüber nachgedacht, aber es hatte einige Zeit gedauert, und als sie wieder darauf zu sprechen kam, sagte sie ganz einfach:
– Ich bin nicht überzeugt davon, aber wenn es Gott so will, soll sein Wille geschehen -.
Von da an wurden sie wie Schwestern.
Nachdem all das geschehen war, setzte Bartholomäa an jenem Abend den Brief so fort: «Ich wünsche den Moment sehnlichst herbei, in dem ich mit dir vereint sein werde, um zu Gottes Herrlichkeit und zum Nutzen des Nächsten zu handeln. Wir wollen alles machen, damit die Sache bald gelingt. Stellen wir dem Werk des Herrn keine Hindernisse entgegen, legen wir uns in seine Hände und suchen wir nur seinen Willen und das Beste für den Nächsten. Deine, dich liebende Schwester Bartholomäa».

Im Conventino (kleinen Kloster)

Von jenem Noment an war aber nicht alles leicht. Katharina musste die Vorwürfe der Tante ertragen, die allein mit der Magd in ihrem grossen Haus zurück bleiben würde. Bartholomäas Vater war lange Zeit krank und wollte sie ständig um sich haben; aber auch sie wollte sich nicht von seinem Bett trennen; mit Liebe pflegte sie ihn und bereitete ihn vor, die Sakramente zu empfangen, und als er starb, war sie untröstlich. Sie musste so viele andere Schwierigkeiten in Angriff nehmen.
– Wir werden nichts unversucht lassen -, ermutigte Bartholomäa; und erst dann, wenn alle -Versuche fehlschlagen sollten, werden wir niederknien und warten, bis uns der Herr die Tür öffnet -.
Endlich fanden sie mit der Hilfe des Pfarrers und Don Angelos das «kleine Haus» dort oben neben dem Spital, und nun konnten sie es kaum erwarten, dass sie es bewohnen durften.
Es kam der 21. November 1832. Bartholomäa stand auf, als es noch tiefe Nacht war und erwartete betend den Tagesanbruch: sie erflehte Hilfe und Trost für ihre Mutter und Schwester; für sich bat sie um “die Fröhlichkeit des Herzens und einen heiligen Mut”, um ihre neue Aufgabe zu vollenden; sie bat auch um eine andere Gefährtin.
Sobald der Morgen anbrach, grüsste sie mit einer langen Umarmung die Mutter und Camilla, die untröstlich waren.
– Wenn es nicht der Herr wäre, der mich ruft, würde ich euch nicht für das ganze Gold in der Welt verlassen -, sagte sie unter Tränen zu ihnen, – verzeiht mir alles; ich werde euch noch lieber haben und werde euch weiterhin helfen, so gut ich kann… –
Eilig hüllte sie in den Schal um sich und verschwand in der Strasse. Bald darauf war sie mit Katharina in der Kirche zum Hl. Georg. Der Pfarrer und Don Angelo lasen die Messe für sie am Altar der Schmerzensreichen Mutter Gottes; dann begleiteten sie sie durch die noch menschenleeren Strassen in das neue Haus. Hier vor einem Bildnis der Madonna, das auf einem Kasten stand, boten sie sich Gott mit dem Versprechen an, ihr ganzes Leben zu widmen, um dem Nächsten Gutes zu tun. Es war das Fest Unserer Lieben Frau in Jerusalem.
Am selben Morgen musste Katharina zur Tante zurückkehren, die krank geworden war. Allein zurückgeblieben, sah sich Bartholomäa um: ausser dem Bett und den Bänken für die Schule, um die sie ihre Mutter gebeten hatte, war da wirklich wenig, nicht einmal das Nötige zum Kochen. Aber ganz in der Nähe, auf der anderen Strassenseite waren ihre Kranken. Sie lief sofort zu ihnen, breitete die Arme aus und rief:
– Von nun an werde ich immer mit euch und ganz für euch da sein! –
Dann kamen die Mädchen aus der Schule, und die Gänge und der Hof hallten von ihren Stimmen wider. Als es Abend war an jenem einzigartigen Tag, war eine Waise anwesend, Therese Conti, um Bartholomäa Gesellschaft zu leisten.
In den darauffolgenden Tagen besuchten sie auch die Freundinnen und pünktlich kam Camilla, die von der Mutter geschickt wurde, jeden Mittag, um ihr das Essen in einem Körbchen zu bringen.
Auch Katharina kam bald zurück und da wurden die Tage im neuen Haus besser organisiert. Da gab es wirklich sehr viel zu tun: die Räume mussten neu gestaltet werden; die Schülerinnen, die Waisen, die Kranken, die Armen, die Tàtigkeiten in der Pfarrei, das Beten füllten die Tage aus.
Erst gegen Abend hörte das Kommen und Gehen auf; im Hause blieb nur die kleine Gruppe der Waisen, und wenn auch sie zu Bett gegangen waren, trat eine grosse Stille in jener Ecke des Dorfes am Hang des Berges ein.
Bartholomäa und Katharina nahmen sie wahr, um sich beim Schein einer Lampe zusammen zu setzen und von ihren neuen Aufgaben zu sprechen, den Entschlüssen, die es zu fassen galt, von den Vorschriften, die einzuführen waren… Aber wie sollten sie es anstellen, alles zu erledigen?
Magdalena Giudici aus Sellere erkannte ihre Bedrängnis und bot sich an, wenigstens für einige Zeit, bei den Hausarbeiten zu helfen. In Wirklichkeit blieb sie dann für immer bei ihnen.
So waren sie am Anfang des neuen Jahres schon zu dritt. Die Leute von Lovere begannen jenes Haus «Conventino» zu nennen, das alle nunmehr wie einen Segen für das Dorf fühlten. In Bartholomäas Traum sollte es das «Haus des Heilands» sein.

 

Ich werde euch von oben helfen

Am 1. April 1833 luden die Glocken vom St. Georg die Leute feierlich für die Anbetung des Allerheiligsten in die Kirche ein und auch Bartholomäa lief mit einer schönen Gruppe von Mädchen herbei. Zum Altar vorgebeugt, der im Glanz der Lichter erstrahlte, beteten und sangen sie, indem sie ihre ganze Seele in die Stimme legten.
Bartholomäas Blick war ständig auf die Monstranz geheftet und merkte nicht, wie die Zeit verging, während sie in ihrem Inneren dachte:
– In diesem Geheimnis sehe ich nichts anderes als Liebe, ich lerne nichts anderes kennen als Liebe, und wenn ich es überlege, empfinde ich nichts anderes als Liebe! In diesem Sakrament hat uns Jesus die Liebe ganz offenbart! –
Als die Andacht beendet war, gingen sie hinaus und indem sie sich grüssten, zerstreuten sie sich fröhlich in die Strassen zu ihren Häusern. Bartholomäa hingegen erreichte das «Conventino» mit Mühe; sie fühlte ein sonderbares Unbehagen in sich und wurde von Fieber geschüttelt.
Tränen glänzten in ihren Augen, als sie die äusserst besorgte Katharina veranlasste, sich ins Bett zu legen, während sie den Arzt rief.
Bartholomäa erkannte, dass sie nicht mehr aufgestanden wäre. Es tat ihr leid, zu sterben, weil sie Katharina und Magdalena in dem kaum eingeführten Haus zurückliess, aber dann dachte sie, dass sie ihnen im Paradies noch mehr hätte helfen können.
– Seid versichert, ermutigte sie sie, – dass dieses Haus in Gottes Händen ist!
Aber ihre Mutter, Camilla, Katharina und Magdalena waren in grosser Sorge um sie und wussten nicht mehr, was sie machen sollten, um ihr ein wenig Erleichterung zu verschaffen.
Die Nachricht ihrer Krankheit verbreitete sich sofort im Dorf und auch ausserhalb, und so begann ein Kommen und Gehen in ihrem Zimmer: die Mädchen kamen, um sich ihr anzuvertrauen und die Freundinnen, die ihrer Ratschläge stets bedurften; Mathilde kam mit ihrem Vater, der seit langem wünschte, sie kennenzulernen; Priester und andere Leute besuchten sie.
Demjenigen, der ihretwegen betrübt war, sagte Bartholomäa:
– Die Leiden, die uns Jesus schickt, sind nie Dornen! –
Oder:
– Es ist schön, für den Herrn zu leiden und ans Paradies zu denken! –
– Wenn ich mich vor dem Tod fürchtete, würde ich Jesus Unrecht tun, der so viel auf sich genommen hat, um mich zu retten! –
So vergingen jene Frühlingsmonate, und der Sommer kam mit schwüler Luft. Durch das offene Fenster drangen die Stimmen und das eifrige Klopfen der Maurer, die die kleine Kapelle bauten. Katharina wollte die Arbeiten unterbrechen lassen, da sie befürchtete, sie könnten sie belästigen, aber Bartholomäa bat sie:
– Lass mich sie hören!… Sie schenken mir Freude, weil ich daran denke, dass Jesus Abendmahl auch in unserem Haus wohnen wird. –
Es kam der 26. Juli. Bartholomäa war nur noch Haut und Knochen, kraftlos und hatte eine dünne Stimme, um zu grüssen, zu trösten, Gebete zu flüstern. An jenem Morgen hatte sich Katharina mit den Waisen in die Kirche begeben, um der Messe beizuwohnen und für sie zu beten.
Ihnen hatten sich viele Leute angeschlossen, die ihnen dann auf der Heimkehr folgten.
– Wie geht es Bartholomäa? Wie geht es der Lehrerin? – fragten sie.
Katharina antwortete, indem sie den Blick zum Himmel wandte, und gleichzeitig beschleunigte sie den Schritt heimwärts und dachte:
– Wie werde ich sie vorfinden? Wird sie mir der Herr lassen oder wird er dieses Opfer wollen? –
Sobald sie über die Schwelle des Conventino trat, war sie sich bewusst, dass etwas dabei war zu geschehen, sie lief zu Bartholomäa und erkannte, dass sie schwerkrank war. Auch Don Angelo war anwesend, der ihr sofort die letzten Sakramente spendete.
– Willst du ins Paradies gehen? -, fragte er sie.
– Ich will, was der Herr will -, flüsterte sie.
Dann drückte sie das Kruzifix und das Bild der Madonna an sich, während sie «Jesus, Maria» flüsterte. Mit diesen Anrufungen auf den Lippen starb sie gegen 10 Uhr morgens. Sie war 26 Jahre alt.
– Eine Heilige ist gestorben! -, so verbreitete sich die Nachricht von Haus zu Haus und alle empfanden, etwas von sich selbst verloren zu haben.

Die offene Tür

In jenen Tagen herrschte grosse Verwirrung. Zum Berg blickend, kündigten die Leute auf den Strassen voraus:
– Ohne Bartholomäa, Conventino, adieu! –
Tatsächlich als Katharina und Magdalena allein waren, blickten sie sich bestürzt in die Augen.
– Was machen wir jetzt? -, fragte sich Katharina.
– Ich gehe wieder nach Sellere -, entschied Magdalena.
– Auch ich kann hier allein nichts ausrichten… –
In jenem Moment kamen zwei Priester, die den Inhalt des Gesprächs ahnten und ihnen klar und deutlich sagten:
– Das ist der Moment, euer Vertrauen auf Gott zu zeigen. Bleibt! Nun liegt es an euch, Bartholomäas Werk fortzusetzen -.
Bei jenen Worten bereute Katharina ihre Verzagtheit, belebte ihren Glauben im Herrn, wandte sich zur Gefährtin und sagte:
– Gehen wir mit Vertrauen weiter! Gott allein will der Urheber dieses Werkes sein. Lassen wir ihn tun!… –
Sie blieben und ihre Grosszügigkeit wurde bald belohnt: Maria kam, um den Unterricht fortzusetzen, da die Schule ohne Lehrerin geblieben war; Klara, Margarete, Franziska, Silvia, Therese… und sogar Camilla kamen, alle mit dem Wunsch Jesus zu folgen, wie es Bartholomäa getan hatte. Katharina begriff immer mehr, dass der Herr jene Tür offen haben wollte.
Seither ist die Familie gewachsen und «Conventini» sind in verschiedenen Teilen Italiens, in anderen Ländern Europas und sogar in Asien, in Amerika, in Afrika entstanden, da die neuen Gefährtinnen von Bartholomäa überall Kinder, Jungen, Kranke, Alte, Arme finden, um sie zu lieben und ihnen im Namen Jesu zu dienen.
Die Heiligkeit Bartholomäas wurde von Pius XII. am 18. Mai 1950 anerkannt, und ihre Geschichte lebt im Institut der Schwestern der Liebe fort.